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Meinung | 20. April 2015

Alle sehr betroffen

Na, war das vielleicht ein schöner Moment? Als sich bei Jauch durch den zivilen Ungehorsam des Harald Höppner ganz Fernsehdeutschland symbolisch von der Couch erheben konnte und für einen Moment in Stille vereint war, mit sich, den toten Flüchtlingen am Meeresgrund und dem letzten Tatort-Chipsgeschmack auf der Zunge? Da wurde endlich wieder Fernsehgeschichte in der Kulturnation geschrieben, darüber war man sich in Medienkreisen schnell einig, das war Mitmachfernsehen vom Feinsten, mit einem Touch Betroffenheit. Besser geht es gar nicht. Ein bisschen betroffen sein, ein bisschen gruseln, wie bei diesen Nazi-Dokumentationen, die man sonst so gerne vor dem Einschlafen in der Mediathek schaut. Und das an einem Sonntagabend, da konnte man doch gleich viel besser schlafen als das sonst manchmal der Fall ist, wo der Blutdruck bei Jauch schon mal kurz vor der Nachtruhe noch durch die Decke geht.

Ach, war das schön.

Und was soll man auch anderes machen als ein bisschen betroffen sein? Diese ganze Problematik ist ja insgesamt sehr komplex, da gibt es eben keine einfachen Antworten und das Mittelmeer, das weiß man doch aus dem Urlaub, das ist weit weg. Sehr schön ist es da eigentlich auch, nur das mit diesen Flüchtlingen, das ist jetzt natürlich schon ein bisschen blöd, das versaut uns die Aussicht auf den schönen Strandurlaub im Süden, auf den wir doch das ganze Jahr schon gespart haben. Aber dann fliegt man halt nach Thailand, Italien ist eh nicht mehr so angesagt wie früher einmal, und die Flüge sind auch gerade gar nicht mal so teuer, und außerdem gibt es in Thailand die schöneren Sandstrände, die haben diesen feinen weißen Sand, den gibt es sonst nur auf den Malediven, das hat die Frau im Reisebüro auch gesagt, da läuft es sich gleich ganz anders drauf, nämlich wie auf Wolken, und Leichen liegen da auch nicht rum, oder jedenfalls nur sehr selten.

Man kann ja nichts machen, außer ein bisschen betroffen sein, man ist ja vollkommen hilflos und die Problematik ist ja insgesamt auch sehr komplex und da gibt es eben keine einfachen Antworten. Und wir können ja auch nicht alle aufnehmen, dafür ist doch kein Platz in unserem schönen Europa, für so viele von denen, die dann auch noch vor uns im Supermarkt in der Schlange stehen und nicht wissen, wie man den Pfandautomaten bedient, oder das man unter keinen Umständen die Lebensmittel anderer Menschen berührt, wenn diese schon ordentlich auf dem Kassenband angeordnet und durch einen Warenabstandstrenner vom Rest der Welt als das eigene kleine Konsumreich abgegrenzt worden sind.

Nein, wir können hier wirklich nicht alle aufnehmen, wir haben die Kapazitäten nicht, wie man so sagt, das weiß man auch aus den Nachrichten. Obwohl man natürlich sagen muss, dass die eigentlich nur unten in das Haus an der Straße einziehen sollen, das sowieso schon seit Jahren leer steht, aber wenn die dann erstmal da sind, dann ist das Haus natürlich nicht mehr leer und damit fängt die Veränderung ja schon an. Im Dorf nebenan stellen sie jetzt auch noch Container auf für die, die wir schon hier nicht wollen, die nicht und die Container auch nicht. Bei denen riecht es dann bestimmt auch immer so komisch und außerdem wissen die nicht, wie man sich ordentlich anzieht, gerade auch Sonntags, wenn es dann in die Kirche geht. Kirche kennen die ja auch alle nicht, das sind ja alles Muslime, die bauen uns wahrscheinlich als erste offizielle Amtshandlung direkt so eine Moschee auf unseren schönen Dorfplatz und radikalisieren unsere Jugend. Das kann nun wirklich alles niemand wollen. Nein, bei aller Liebe nicht.

Wir können ja auch nichts dafür, was da unten in diesem Syrien passiert, oder Tunesien oder Lybien oder Jemien, oder wie das da alles heißt, da unten jedenfalls, wo die alle herkommen. Da muss halt mal einer hin und was machen, in diese Herkunftsländer, da muss mal schön durchgewischt werden und ein bisschen Demokratie hin und dann wird das auch alles schon wieder. Da muss man Strukturen aufbauen und Aufklärung leisten, da unten irgendwo, da wo die alle herkommen, damit die vor Reiseantritt schon wissen, wen wir hier eigentlich haben wollen und wen nicht. Dann haben wir hier auch endlich wieder unsere Ruhe und können das Auto offen lassen, wenn wir am Wochenende mal kurz rein müssen, weil wir die Politur für die Motorhaube auf dem Küchentisch haben stehen lassen oder ein leckeres Leberwurstbrot essen wollen.

Vielleicht kann man ja auch da unten, in diesem Syresien, Tunesien, Jemesien, da wo die alle herkommen jedenfalls, in diesen sogenannten Herkunftsländern, vielleicht kann man da mal Flugblätter abwerfen mit dem Hinweis, dass das Mittelmeer kein Nichtschwimmerbecken ist oder das Wasser nass macht, das wissen die da unten ja vielleicht alles nicht, die kommen ja alle aus sehr trockenen Gegenden. Anders ist das ja auch alles nicht zu erklären. Warum man eins von diesen kaputten Booten besteigt, von denen man doch langsam wirklich mal wissen könnte, dass die früher oder später untergehen, wenn die maximale Personenbeförderungs-anzahl überschritten wird. Da informiert man sich doch vorher im Internet bei Tripadvisor oder der Stiftung Warentest, das machen wir doch hier auch so, das kann doch alles so schwer nicht sein.

Nein, wir können hier wirklich nicht alle aufnehmen, nicht hier, nicht in unserem gemütlichen Abendland mit unseren christlichen Werten, da ist es dann schon besser, wenn ein paar hundert von diesen, wie heißen die noch, ach ja, Menschen, wenn die da unten im Mittelmeer absaufen, weit weg von unserer eigenen Haustür, dann können wir alle am nächsten Sonntag, oder wann auch immer das nächste Flüchtlingsschiff untergeht, wieder ein bisschen betroffen sein und uns mit unserer Betroffenheit und dem Chipsgeschmack im Mund in unserer Sofalandschaft wohlfühlen und danach schön ins Bett gehen und vom weißen Sandstrand in Thailand träumen.